Bildungs­gerechtigkeit:
Schlüssel zur Zukunft

AES - Fokus: Die Perspektive wechseln

Die AES vollzieht den Perspektivwechsel, der für die Herstellung von Bildungsgerechtigkeit aus Sicht der Verantwortlichen entscheidend ist, in mehrerlei Hinsicht auf unkonventionelle Art und Weise, indem hier herkömmliche Muster und Modelle teilweise auf den Kopf gestellt und in die andere Richtung (also vom Schüler her) gedacht werden. Das Denken wechselt an der AES also die Richtung; dies wird nachfolgend illustriert anhand der drei Beispiele Farbphase, Schienenmodell und Elternarbeit.

Im Übergang von der Grundschule werden zu Beginn von Jahrgangsstufe fünf alle Kinder an der AES für ca. zwei Wochen zunächst noch nicht in Klassen, sondern in Farbgruppen eingeteilt. In dieser sog. FARBPHASE gibt es ein täglich wechselndes, projektorientiertes Programm. Während dieser Zeit lernen alle für die fünften Klassen vorgesehenen Klassenlehrkräfte jeden Schüler und jede Schülerin kennen und umgekehrt, da sowohl Lehrer- als auch Schülerschaft in dieser Anfangszeit rotieren. Die Lehrkräfte und das pädagogische Personal beobachten in dieser Phase die Kinder hinsichtlich des allgemeinen und sozialen Verhaltens genau. Vor diesem Hintergrund können sie sukzessive die fünften Klassen optimal zusammenstellen, anschließend werden die Lehrkräfte den Klassen zugelost. Für die Schülerinnen und Schüler ist das die Chance für einen kompletten Neustart: Die Lehrkräfte an der weiterführenden Schule versehen sie nicht mit einem durch bisherige Erfahrungen geprägten Label, sondern sie werden für die Phase der ersten vierzehn Tage zufällig Farbgruppen zugelost. Die Farbphasen haben sich für die Schule als außerordentlich wirksame Maßnahme erwiesen im Hinblick auf die Erhöhung von Bildungsgerechtigkeit für alle Beteiligten. Kinder, die teilweise mit sehr belastenden Voreinschätzungen aus der Grundschule kamen, konnten sich durch das Losverfahren und damit Eintauchen in ein zufällig zusammengesetztes Sozialgefüge wertfrei (weiter) entwickeln, neu präsentieren und damit „einen schulischen Neustart hinlegen“. Die bisherigen Erfahrungen mit der Farbphase zeigen außerdem, dass auf diese Weise sich auch eventuell bestehende Gruppierungen aus der Grundschulzeit leichter öffnen lassen und dass die auf diese Weise gebildeten Klassenverbände in der Regel gut harmonisieren. Überdies hat die Maßnahme auch für erhöhte Gerechtigkeit im Kollegium gesorgt. Denn auch über die Zuordnung der jeweiligen Lehrkraft zu einer bestimmten Klasse entscheidet das Los, unabhängig davon, welche Grundschule(n) als abgebende Institution(en) die Lehrkräfte selbst ggf. bevorzugen würden.

Ein anderes Ergebnis davon, dass das Denken an der AES die Richtung wechselt, ist der sog. SCHIENENUNTERRICHT, der auf der Idee des ursprünglich für besonders begabte Kinder gedachten Drehtürmodells beruht. An der AES wurde das Prinzip für Schülerinnen und Schüler mit besonderen Förderbedarfen in den Bereichen Lernen und sozial-emotionale Entwicklung ab Klasse sechs adaptiert. Diese Schülerinnen und Schüler werden jahrgangsweise auf freiwilliger Basis temporär für eine begrenzte wöchentliche Stundenzahl in den Kernfächern Mathematik, Deutsch und Englisch aus dem Regelklassenverband herausgenommen und in einer Gruppe gemeinsam im sog. Schienenunterricht beschult. Nach dem Schienenunterricht gehen sie zurück in den Klassenverband für alle anderen Fächer. Nach anfänglicher Skepsis haben viele Kinder, die sich zunächst für den Regelunterricht entschieden hatten, nach gewisser Zeit doch in den Schienenunterricht gewechselt; die Ergebnisse sind bisher vielversprechend.

Jonas Oltrogge, der selbst eine der für den Schienenunterricht in einer Jahrgangsstufe verantwortlichen Lehrkräfte ist, führt als Beispiel an, dass mit diesem Modell die Stellung der teilnehmenden Kinder und damit ihre Selbstwirksamkeit und ihre Selbstverantwortung sowohl in der Schiene als auch im Klassengefüge gefestigt werden. Die bisherige Erfahrung zeigt, dass Kinder sich im Schienenunterricht aufgehoben und handlungsbefähigt fühlen. Sie achten in den bis zu 14 Förderkindern umfassenden Gruppen sehr aufeinander; es ist ein „positiver Konkurrenzkampf, weil alle ungefähr auf einem Niveau sind“ (JO). Die Kinder nehmen ganz bewusst wahr, dass der Schule daran gelegen ist, sie zu fördern - und sie nicht loszuwerden. Durch die Freiwilligkeit waren Schülerinnen und Schülern plötzlich in der Rolle, den (Schienen-)Unterricht zu bewerten und fühlten sich auch dadurch in ihrer Selbstwirksamkeit gestärkt.

Das Prinzip von praxisbezogenen Lehrinhalten abseits der curricularen Vorgaben ist im Schienenunterricht sehr wichtig, um nachhaltige Lernerfolge zu erzielen. Frau Riedl betont, dass es im Umkehrschluss sehr entlastend ist, idealerweise fächerübergreifend Themen und Projekte als Gruppe zu entwickeln. Im WAT (Wirtschaft/Arbeit/Technik)-Unterricht beispielweise wurden Lebensmittel selber eingekauft, gekocht und dann verkauft. Mengenangaben wurden vorher im Mathematik-Unterricht errechnet, das Rezept im Deutschunterricht aufgeschrieben. Lernausgangsleistung und Lernergebnisse haben die für den Schienenunterricht verantwortlichen Lehrkräfte fest im Blick; sie bilden wichtige Indikatoren für die Bewertung der nicht nur im Hinblick auf Bildungsgerechtigkeit an der AES und darüber hinaus kontrovers diskutierten Maßnahme des Schienenunterrichts.

Auch für das soziale Miteinander wirkt sich die Maßnahme förderlich aus. So betont Jonas Oltrogge, dass nach anfänglichen eher unruhigen Zeiten in der Lerngruppe, die er verantwortet, inzwischen meistens gut und konstruktiv (zusammen) gearbeitet wird. Das ist möglich, seit es ihm durch Klarheit und Beharrlichkeit gelungen ist, für alle Beteiligten verbindliche Regeln für das Arbeiten und den Umgang miteinander zu kommunizieren und wirksam zu etablieren – das erfordert Disziplin und Durchhaltevermögen von allen Seiten. Deutlich spürbar ist überdies, dass in der Schiene und darüber hinaus Konflikte unter Schülerinnen und Schülern gesunken sind. Als es den Schienenunterricht noch nicht gab, kam es häufiger als derzeit zu teilweise gewaltsamen Auseinandersetzungen, die sich mitunter zu Fällen von Schulvermeidung fortsetzten. Inzwischen hat sich „in der Schiene“ überwiegend ein Gefühl von „Schule ist ok“ eingestellt; das ist auch daran ablesbar, dass die Zahl der Schulvermeiderinnen und Schulvermeider kontinuierlich nach unten gegangen ist, seit es das Schienenmodell gibt. Die Verantwortlichen führen das u.a. darauf zurück, dass hier im Gegensatz zum Regelunterricht mehr mit Erfolgserlebnissen und viel mit Bestätigung agiert sowie der Druck minimiert wird – der würde in diesem Kontext keine konstruktiven Impulse geben.

Beispiel Nummer drei für einen Perspektivwechsel bietet eine Herangehensweise für die Gestaltung von ELTERNSPRECHTAGEN an der AES, die von einigen Mitgliedern des Kollegiums angestoßen und inzwischen von mehreren übernommen wurde. Demnach werden die jeweiligen Termine am Sprechtag beispielsweise mit allen Förderkindern im siebten Jahrgang gemeinsam mit den Kindern und deren Eltern durchgeführt; die Vorbereitung dafür übernehmen die Kinder selbst, indem sie ein Mini-Portfolio erstellen darüber, was sie gut gemacht haben. Dieses Portfolio wird an den Terminen von den Kindern vorgestellt und durch Rückmeldungen von allen Beteiligten ergänzt – durch diesen Perspektivwechsel setzen diejenigen, um die es geht, den Impuls für die Gestaltung des Sprechtages. Nach anfänglichem Zögern nehmen inzwischen immer mehr Eltern an den Sprechtagen teil, die Kinder fordern das auch ein. Zu diesem Vorgehen gibt es durchweg positive Rückmeldungen. Denn zuvor waren Eltern in vielen Fällen gewohnt, in einem solchen Rahmen die Defizite der Kinder wiederholt zu bekommen. Motivation zum gemeinsamen Wirken kann aber nur entstehen darüber, die positiven Entwicklungen in den Vordergrund zu stellen. Auf diese Weise ist eine gute Möglichkeit entstanden, die Eltern generell mehr ins Boot zu holen und dem Ziel an der AES einen Schritt näher zu kommen, dass Schule und Eltern an einem Strang ziehen.

Wenn Dinge mal nicht gut laufen, wissen die Eltern an der AES inzwischen in vielen Fällen, dass die Lehrerschaft auf ihrer Seite ist und gemeinsam nach einer Lösung gesucht wird. Das wird ggf. gestützt durch die Arbeit in den Schienen, in denen die Lehrkräfte so etwas wie eine Klassenlehrerfunktion haben. Auf diese Weise greifen unterschiedliche Maßnahmen zur Erhöhung von Bildungsgerechtigkeit an der AES ineinander. Dies trägt dazu bei, dass zu Kindern und damit auch zu ihren Eltern mehr Vertrauen aufgebaut und ihnen vermittelt werden kann, dass die AES für ihre Kinder nur das Beste will und sie nicht abschiebt, sondern sich auf sie einlässt.

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Steckbrief in eigenen Worten

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Interview­partner - Sonja Riedl und Jonas Oltrogge

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